Musem der verfolgten Künste

»Himmel und Hölle zwischen 1918 und 1989. Die verbrannten Dichter«

Das Kunstmuseum Solingen (Museum Baden) zeigt in einer ständigen Ausstellung die von der Else-Lasker-Schüler-Stiftung

 erworbene einzigartige Sammlung Serke mit Erstausgaben, Handschriften, Originalmanuskripten, Originalfotos und Nachlässen der Exilliteratur und führt sie mit der bestehenden Sammlung Gerhard Schneider mit Gemälden und Grafiken verfolgter Künstler zwischen 1933 und 1945 zu einem einzigartigen Ensemble in Deutschland zusammen.

Grundlage der Sammlung Serke ist sein Buch »Die verbrannten Dichter«, dessen Titel zum Gattungsbegriff für eine ganze Literatur wurde.

Kurator der Dauerausstellung und der Eröffnungsausstellung »Himmel und Hölle zwischen 1918 und 1989. Die verbrannten Dichter« ist Jürgen Kaumkötter, der zugleich das neue Konzept des Solinger Museums für den Landschaftsverband Rheinland erarbeitete. Der Kunsthistoriker setzte damit seine Arbeit an der Kunst der Katastrophe des 20. Jahrhunderts fort, die vor zwei Jahren in der in Berlin, Osnabrück und Łódź gezeigten Ausstellung »Kunst in Auschwitz 1940-1945« einen vorläufigen Höhepunkt fand.

Die Literaturdauerausstellung in Solingen stand im Mai 2008 für drei Monate in Beziehung zu drei weiteren Ausstellungen im selben Haus. 250 Fotos von Stefan Moses, Robert Lebeck, Christian Irrgang und des 2005 verstorbenen Wilfried Bauer, die Serke auf seinen Literaturentdeckungsreisen begleiteten, zeigten den Kosmos der Verfolgung durch die zwei Totalitarismen des 20. Jahrhunderts. Das Fotopanorama reichte von Armin T. Wegner zu Czesław Miłosz, von Irmgard Keun zu Joseph Brodsky, von Ilse Aichinger zu Milan Kundera, von Rose Ausländer zu Václav Havel.

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In einer weiteren Ausstellung wurden erstmals in Deutschland mehr als 100 Bilder des Dichters und Malers Peter Kien im Original gezeigt, der 1940 ins Ghetto Theresienstadt kam und 1944 im Alter von 24 Jahren in Auschwitz ermordet wurde. Der Museumsbesucher sah, wie unterschiedlich der Peter-Weiss-Freund Kien seine Kunst einsetzte: in der Malerei der Traum von einer befreiten Welt, in der Literatur die Todesbedrohung

Die dritte Ausstellung zeigte den Blick der jungen Generation auf das vergangene Jahrhundert. Die 1979 in Ostberlin geborene Sarah Schönfeld und die 1969 in Jerusalem geborene Sigalit Landau reagierten mit ihren Arbeiten auf Kien und den Zivilisationsbruch des NS-Terrors – ebenso wie der 37jährigen Jonathan Meese. Sie antworteten zugleich auf die neu konzipierte Dauerausstellung der Sammlung Schneider.

Himmel und Hölle zwischen 1918 und 1989

Anmerkungen zur Dauerausstellung der Sammlung Jürgen Serke, zur Geschichte ihrer öffentlichen Präsentation und zu einem Museum der verfolgten Künste

von Jürgen Kaumkötter

Am 5. April 2003 lud Eva Berger, die Direktorin des Kulturgeschichtlichen Museums Osnabrück mich zur Eröffnung der Ausstellung »Albrecht Dürer. Das große Glück« nach Osnabrück ein. Dort lernten ich Jürgen Serke kennen, der für seine Wanderausstellung »Liebes- und Musengeschichten. Das fragile Glück im Unglück von Verfolgung und Exil« einen Kooperationspartner suchte. Im Herbst 2003 konnten ich die Ausstellung in Breslau im Museum Haus zur Sonne zeigen, im Januar 2004 in der Saarländischen Landesvertretung in Berlin und im Oktober 2004 im Clementinum, der Tschechischen Nationalbibliothek in Prag. Ihren Abschluss fand die Reihe mit einer Ausstellung zum 60. Jahrestag des Kriegsendes in Europa im Mishkenot Sha'ananim, dem Konrad-Adenauer-Konferenzzentrum in Jerusalem.

Die Arbeit an der Wanderausstellung machte mich mit den Büchern und Objekten der Sammlung Jürgen Serke vertraut und ließ mich die Schwierigkeiten einer Literaturausstellung erkennen: Ein Buch sollte man für sich alleine lesen. Die »Liebes- und Musengeschichten« waren genau das, was der Titel versprach: eine Ausstellung über die zwischenmenschlichen Beziehungen der Dichter. Die Konzeption orientierte sich stark an den Biografien und setzte ein gutes historisches Hintergrundwissen voraus. Die Geschichte, die Bilder eines Buches entstehen in der Phantasie. Eine Literaturausstellung muss sich auf ein Bild oder einen kommentierenden Text festlegen und stört so die Eigenständigkeit der Gedanken. Sie ist in höchstem Maße diktatorisch, zwingt den Betrachter in eine monokausale Interpretation, gibt ihm nicht die Möglichkeit, sich mit dem Kunstwerk Buch an sich zu befassen, lässt ihm nicht die Zeit, die er dazu benötigt.

In den meisten thematischen oder zeitgeschichtlichen Dauerausstellungen steht Literatur entweder als Beleg für die kulturelle Entwicklung einer Epoche, wie im Centre Pompidou in Paris, wird wie im Literaturmuseum der Moderne als Material für ein künstlerisches Gesamtkunstwerk genutzt oder dient als Bestätigung für historische Entwicklungen, wie im Deutschen Historischen Museum in Berlin.

Centre Pompidou, Paris, Dauerausstellung zur Kunst des 20. Jahrhunderts

Deutsches Literaturarchiv Marbach, Literaturmuseum der Moderne, Raumansicht und Detail

In musealen Präsentationen und schriftlichen Gesamtdarstellungen erfolgt die Gliederung der Exponate fast immer chronologisch und nach spezifischen historischen Ereignissen. Oft werden die Werke in zeitgeschichtliche Muster gezwängt, ohne Rücksicht auf die Arbeitsweise der Künstler – wir lesen Bücher und Bilder aus der Zeit zwischen 1933 und 1945 durch die Brille unseres Wissens über die Ereignisse des Krieges und des Exils.

Über mein Fachgebiet, die bildende Kunst, kann ich besser sprechen als über Literatur. Aber die musealen und konzeptionellen Grundlagen sind für historische Objekte aller Künste vergleichbar. Für eine formalkünstlerische Fragestellung ist ein zeitgeschichtliches Ordnungsschema nicht effektiv. Bei der Frage nach den langfristigen Strategien und formalen Entwicklungen im Werk der Künstler des Exils, der verschollenen Generation, der Kunst aus den Lagern und Verstecken können Oberbegriffe wie Stillleben, Selbstbildnis, Sprichwort-, Sinnspruch- oder Historienbild methodisch dienlicher sein. Sie geben uns die Möglichkeit, die Bilder und Werke als künstlerische Objekte zu interpretieren – ohne unmittelbaren Bezug auf die Zeitgeschichte, aber auch ohne diese zu vergessen.

Das Dilemma von Kunstwerken aus dieser Zeit wird an der Kunst aus den Konzentrationslagern besonders deutlich: Die Porträts aus Auschwitz werden bis heute fast ausschließlich auf den Kontext ihrer Entstehung reduziert – obwohl es in ihnen zumeist keinerlei Symbolik und keinen Verweis auf etwas jenseits der Abbildung gibt. Der künstlerische Traditionalismus und die Einfachheit, mit der in diesen Bildern auf alles verzichtet wird, was ablenken könnte, wird besonders in einer Porträtserie von Marian Ruzamski deutlich, bei der sich ein Vergleich mit Porträts von Hans Holbein dem Jüngeren geradezu aufdrängt. Wie Holbein verzichtet auch Ruzamski auf jeden symbolischen Verweis.

Hans Holbein der Jüngere

John Fisher

Kreide auf rosa getöntem Papier

38,2 x 23,2 cm Bezeichnung: Il Epyscop de resester / fo ... lato Il Cap lan 1535 [Der Bischof von Rochester, dessen Kopf im Jahre 1535 abgeschlagen wurde]

London, Windsor Castle

John Fisher wurde um 1459 in Beverley, Yorkshire, geboren. Er studierte an der Universität Cambridge. Seine kirchliche Karriere begann 1497, als er Beichtvater der Königinmutter Lady Margaret wurde. 1503 ernannte man ihn zum Professor der Theologie, 1504 wurde er Kanzler der Universität Cambridge und Bischof von Rochester. Fisher gilt neben Thomas Morus als bedeutendster Humanist seiner Zeit, er war mit Erasmus von Rotterdam befreundet und zählte zu den schärfsten Gegnern Martin Luthers. 1534 widersprach Fisher der Ehescheidung Heinrichs VIII. von Katharina von Aragonien, woraufhin er beim König in Ungnade fiel und im Tower eingekerkert wurde. Weil Fisher ihm den Suprematseid verweigerte, ließ Heinrich VIII. ihn am 22.6.1535 in London enthaupten.

Das Porträt des sorgenvollen alten Mannes ist eine Vorzeichnung, wie Holbein sie häufig von potentiellen Kunden oder deren Familien anfertigte. Die Zeichnungen wurden später in der Werkstatt des Künstlers in Öl ausgeführt. Dieses Bild ist wahrscheinlich nach 1532 entstanden, während Holbeins zweitem Englandaufenthalt. In welcher zeitlichen Nähe zu Fishers Hinrichtung es angefertigt wurde, ist nicht geklärt. Mit virtuoser Technik hat Holbein die großen Sorgen des Bischofs in dessen Gesichtsausdruck festgehalten. Dieser Mann wird von etwas existenziell bedroht – wie sein furchtbares Ende bestätigt.

Marian Ruzamski

Selbstbildnis

Konzentrationslager Auschwitz 1943–1944

Kreide auf Papier 25 x 20 cm

Staatliches Museum Auschwitz-Birkenau in Oświęcim

Als Marian Ruzamski sich im Lagerkrankenbau selbst porträtierte, war er 54 oder 55 Jahre alt, litt unter Depressionen und konnte kaum noch selbst Briefe schreiben. Trotzdem schuf er ein charismatisches Selbstporträt. Obwohl zu diesem Zeitpunkt kahlköpfig, zeichnete er sich mit einer Frisur, die typisch und mit anderen Selbstbildnissen vergleichbar ist, auch die spitzen Ohren fallen schon auf früheren Bildern auf. Nase, Mund, Augen, Falten und Gesichtsform konnte er in der spiegellosen Welt aus dem Gedächtnis zeichnen.

Die Besonderheit dieses Bildes sind die unterschiedlichen Gemütszustände, die Ruzamski in seinem Gesicht zum Ausdruck bringt. Die rechte Geschichtshälfte zeigt einen verzweifelten Menschen, die linke offenbart grenzenlose Empörung. Das Zusammenspiel dieser beiden Verfassungen deckt die Zerrissenheit des Menschen auf: Zorn und Hoffnungslosigkeit. Nichts lenkt in dem Bild von dieser wesentlichen Aussage ab. Ruzamski ist ein Selbstbildnis gelungen, das seine Resignation und Angst vor dem Tod, aber auch die Sehnsucht nach Leben veranschaulicht.

Die Abwesenheit der Metapher

Die Abwesenheit von Metaphern, die eine Distanz zwischen dem Künstler und dem Werk schaffen könnten, kennzeichnet fast alle Bilder aus der Lagerzeit. Einen symbolischen Inhalt, eine Transformation des Erlebten in ein anderes Bild als das Abbild der Wirklichkeit findet man erst wieder in den Objekten der Kunstsammlung in Auschwitz nach der Befreiung. Im Lager zählte nur die Realität oder die Flucht in die Kunst.

Kunst in Auschwitz 1940–1945

Mit der Ausstellung »Himmel und Hölle zwischen 1918 und 1989. Die verbrannten Dichter« kann ich meine Arbeit an der Kunst der Katastrophe des 20. Jahrhunderts fortsetzen, die im Jahr 2005 mit der in Berlin, Osnabrück und Łódź gezeigten Ausstellung »Kunst in Auschwitz 1940–1945« einen vorläufigen Höhepunkt gefunden hat. In dieser Ausstellung wurden erstmals Werke aus Auschwitz außerhalb ihres Entstehungsortes ausgestellt – als Kunstwerke, nicht als historische Quellen. Das Selbstbildnis Marian Ruzsamkis war eine herausragende künstlerische Entdeckung und durch die Gegenüberstellung mit der Holbein-Zeichnung machte ich meine Wertschätzung für diesen Künstler deutlich.

Jürgen Serke und ich fuhren gemeinsam nach Galizien, um nach Werken und Spuren des Lebens von Marian Ruzsamki zu suchen. Bei dieser Zusammenarbeit erkannten wir, wie ähnlich unsere Ziele sind, und dass unsere Arbeitsweise fast identisch ist. Serkes Entdeckungsbücher sind mir ein Vorbild für meine Arbeit mit der bildenden Kunst aus den Lagern und Verstecken der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Und die Erfahrungen bei der Konzeption der Ausstellung »Kunst in Auschwitz« sind wiederum in die Literaturausstellung eingeflossen.

»Kunst in Auschwitz 1940 – 1945« im Centrum Judaicum – Stiftung Neue Synagoge Berlin

Die Spannung zwischen Kunst und Lageralltag und die Personalisierung des Grauens machten in der Ausstellung »Kunst in Auschwitz« eine differenziertere Auseinandersetzung mit der Geschichte des Völkermordes und des Konzentrationslagers Auschwitz möglich. Die »Times« schrieb: »The blue eyes of a baker’s daughter stare out of a portrait painted by a concentration camp inmate, one of a group of talented prisoners whose lives were saved or at least softened by art in Auschwitz. An extraordinary collection of paintings goes on display for the first time in the Centrum Judaicum of Berlin today. Each is the symbol of a story of survival.«

Augenzeugenberichte, die an die Geschichte erinnern wollen – ob in der Rückschau oder als zeitgenössischer Bericht –, beinhalten die Probleme der fiktionalen Memoiren: Sie sind immer ein persönliches, aber nur äußerst selten ein authentisches Zeugnis der Vergangenheit. Ein Kunstwerk, ein Laienbild oder ein Roman sind im Vergleich zu einer Tagebuchnotiz oder einem Augenzeugenbericht sogar noch weniger Beweisstück der Vergangenheit, da hier die tatsächlichen Ereignisse durch Stilmittel und künstlerische Techniken verborgen sind. Die Werke aus Auschwitz, aus den Lagern und den Verstecken wurden in die Vielzahl der Augenzeugenberichte integriert und unter den Oberbegriff Holocaust-Kunst subsumiert, der den Beweischarakter der Arbeiten betont, ihre künstlerische Qualität dabei aber vernachlässigt.

Wir dürfen die Künstler in Auschwitz nicht mit den »War Artists« verwechseln, die nicht Kunst hervorbringen, sondern Dokumente schaffen wollten. Die Verbrechen der Kriege wurden zumeist im Nachhinein mittels Fotografien bekannt gemacht – und gleichzeitig verzerrt. Schon kurz nach der Befreiung machte Hannah Arendt darauf aufmerksam, dass die Fotos aus den Konzentrationslagern nicht die Wirklichkeit in diesen abbildeten. Die Leichenberge und die zu Skeletten abgemagerten Menschen »waren gar nicht typisch für die Lager, die, solange sie funktionierten, ihre Insassen systematisch ausrotteten und anschließend sofort verbrannten.« Susan Sontag beschreibt in ihrem Essay »Das Leiden der anderen betrachten« eine spezifische Art des Nachdenkens und Trauerns in den großen Gedenkmuseen, wo besonders Fotografien an die Schoa erinnern. Die Bilder mahnen aber nicht nur an den Tod, sie »beschwören auch das Wunder des Überlebens«, ihre Sakralisierung erklärt sich aus ihrem Kontext.

Ein kleiner Sarkophag, der im Stammlager in der Nähe des Krematoriums in der Erde vergraben war, vermag es viel unmittelbarer als diese Bilder, einem Menschen im Sterben inmitten des millionenfachen Todes in Auschwitz seine Würde zu geben. Dieses eindrucksvolle Objekt haben wir in der Ausstellung jedoch bewusst nicht gezeigt, weil es ein religiöser und persönlicher Gegenstand ist und die Achtung vor dem Toten eine öffentliche Präsentation verbietet.

Dauerausstellung der Sammlung Jürgen Serke

Aus den Erfahrungen mit »Kunst in Auschwitz« und der Wanderausstellung »Liebes- und Musengeschichten« lassen sich für die Literaturdauerausstellung folgende Thesen ableiten:

- Die Zeitgeschichte muss hinter den Autoren zurücktreten. Es sollte nicht der »ewigen Lust an den Tätern« gefrönt werden und möglichst keine Bilder der Nationalsozialisten gezeigt werden.

- Die Exponate dürfen nicht aus der »Perspektive der Täter« betrachtet werden. Dies würde die Interpretation verengen oder verfälschen. Dichter sind keine Dokumentaristen, keine »War Artists«.

- Eine historisch und politisch motivierte Ausstellung soll die Individuen sichtbar machen, nicht der Chronologie der Ereignisse oder der organisatorischen Struktur der Vertreibung oder des NS-Staates folgen.

- Während Bilder keine eigene »Geschwindigkeit« haben und augenblicklich erkennbar sind, haben Bücher ihre eigene Zeitlichkeit, sie müssen gelesen werden. Daher sind sie, anders als Bilder, nicht für Ausstellungen geeignet. Dieses Paradoxon lässt sich nicht auflösen, deshalb werden die Bücher in der Ausstellung als eigenständige ästhetische Objekte präsentiert. Ihr Inhalt muss sich aus dem Kontext ergeben.

- Grundlage der Ausstellung sind die Entdeckungsbücher von Jürgen Serke. Die Ausstellung hat nicht den Anspruch auf wissenschaftliche Vollständigkeit.

Mit der Dauerausstellung der Sammlung Serke und der Neukonzeption der bestehenden Sammlung Gerhard Schneider entsteht im Museum Baden in Solingen ein Ensemble einer thematischen Kunst- und Literaturausstellung, das in Deutschland einzigartig ist. Die Sammlung Gerhard Schneider umfasst Gemälde und Grafiken verfolgter, verfemter und emigrierter Künstler. Beide Sammlungen greifen über die Zeit des Nationalsozialismus hinaus und erlauben so einen umfassenden Blick auf das vergangene Jahrhundert.

Zu den Grundproblemen der Präsentation von Kunstwerken, die neben ihrem Kunstsein auch einen zeitgeschichtlichen oder biografischen Aspekt haben, gehört vor allem die schon angesprochene Verschiebung der Perspektive. Ein Kunstwerk wird in einem Kunstmuseum als Kunstwerk ausgestellt und auch als solches betrachtet. In einem historischen Museum fungieren Kunstwerke dagegen oft als Beleg, Quelle oder Verweis für etwas anderes und werden nicht als Kunst wahrgenommen. Im 2005 eröffneten neuen Museum in Yad Vashem, dem Holocaust History Museum mit der Hall of Names, dem Museum of Holocaust Art und dem Ausstellungspavillon, wird die Dauerausstellung von Szenografien beherrscht, die noch realistischer sind als im Jüdischen Museum Berlin. Die Ausstellungskuratoren betonen immer wieder, dass sie in der Dauerausstellung jetzt viel mehr Kunstwerke zeigen als in den jeweils alten Ausstellungen. Das stimmt. Aber die Kunstwerke dienen lediglich der Illustration und sind Beiwerk der Inszenierungen.

Eingangshalle des Museums Yad Vashem

Das Museum Reina Sofia ist ein Kunstmuseum, das die Exponate in einen Kunstkontext setzt. »Guernica« von Pablo Picasso ist zuerst ein großartiges Kunstwerk, eine überzeitliche Anklage gegen Unmenschlichkeit. Nichts in dem Bild verweist direkt auf das Bombardement der baskischen Stadt. Der Titel des Bildes ist der einzige Hinweis auf das Drama, seine Ausstellungsgeschichte wird als bekannt vorausgesetzt. Weder in der Ausstellungshalle, in der sich das Bild befindet, noch in den angrenzenden Räumen wird auf die Zeitgeschichte verwiesen. Nur eine Texttafel am Ende des Raumprogramms erklärt dem Besucher den zeitgeschichtlichen biografischen Zusammenhang des Bildes.

»Guernica« von Pablo Picasso im Museum Reina Sofia in Madrid

Ganz anders verhält es sich im historischen Museum. Alle Kunstwerke, die in der Dauerausstellung zur deutschen Geschichte im Deutschen Historischen Museum in Berlin ausgestellt sind, werden auf die Funktion als Bildquelle reduziert. Selbst wenn die Bildaussage sich einer historischen politischen Interpretation verweigert, wird die Interpretation in den Bildunterschriften in die historisch gewollte Richtung gebeugt.

Das Museum Baden in Solingen ist seiner thematischen Ausrichtung nach ein Kunstmuseum mit einem zeitgeschichtlichen thematischen Kontext. Es muss mehr leisten als ein Kunstmuseum, soll aber kein historisches Museum sein. Kunstwerk oder Quelle? Künstlergeschichte, Kunstgeschichte oder Zeitgeschichte? Das sind Fragen, die an jedes einzelne Kunstwerk und seine Präsentation gestellt werden müssen. Decken sich Leben und Werk des Künstlers? Wie viel Biografie ist im Bild enthalten? Wurde das Grauen personalisiert? Können wir die Exponate als freie Kunst ansehen oder sollten wir einige der Bilder vor allem als historische Quellen betrachten?

Betrachtet man die Werke einseitig und ausschließlich als historische Beweisstücke, verleiht dies den Bildern und Büchern eine moralische Unantastbarkeit, die eine kritische Auseinandersetzung mit ihrem künstlerischen Wert verbietet – und sie so der Kritik, aber auch der Anerkennung als ernstzunehmende Kunst entzieht. Schon unmittelbar nach dem Krieg, am 30. Juni 1945, hielt Adolf Behne zur Eröffnung der Volkshochschule Wilmersdorf einen Vortrag mit dem Titel »Entartete Kunst – eine Hitler-Lüge«. Darin stellte er wichtige Fragen, die eine Basis für die Beschäftigung mit der Kunst des vorangegangenen Jahrzehnts hätten sein können. Er betonte, dass erst eine umfassende, weder formal noch inhaltlich begrenzte Aufarbeitung der Kunst »aus der Nazizeit« die Voraussetzungen für eine verantwortungsvolle und objektive Interpretation schaffen könne.

Schon 1947 hatten Richard Drews und Alfred Kantorowicz in ihrem Buch »verboten und verbrannt. Deutsche Literatur 12 Jahre unterdrückt« eine eindrucksvolle Zahl von Biografien verfolgter Künstler veröffentlicht. Aber erst Jürgen Serkes Bücher schafften es, diese Vergessenen wieder in das öffentliche Bewusstsein zu heben. Für die Erforschung dieser Kunst und für die Offenlegung der Verbindungen von Kunst, Gesellschaft und politischer Macht war ein Generationswechsel notwendig. Erst die Nachkriegsgeneration konnte sich aus dem moralischen Zwiespalt des Nichtwissenwollens und des Nichtertragenkönnens der historischen Ereignisse befreien und die Grundlage für eine analytische Erforschung der Zeitgeschichte und der Kunst der 30er und 40er Jahre schaffen.

Die Kunstsammlung Gerhard Schneider, die neben der Sammlung Jürgen Serke im Museum beheimatet ist, erreicht in diesem historischen Zusammenhang, so Prof. Dr. Martin Damus, eine Verbreiterung der Geschichte. Es wird deutlich, dass in unterschiedlichen Generationen und Regionen gleichzeitig und ohne formale Grenzen eine Kunst des Widerwillens entstehen konnte.

Rundgang durch das Haus der verfolgten Künste

Der Rundgang durch das Haus beginnt im Erdgeschoss mit der Literaturdauerausstellung. Hier gibt es eine zeitgeschichtliche Einführung vom Ersten Weltkrieg bis zum Mauerfall 1989. Die biografisch-thematische Gliederung der Sammlung Jürgen Serke in der Wanderausstellung »Liebes- und Musengeschichten. Das fragile Glück im Unglück von Verfolgung und Exil« hat sich in mehreren Ausstellungsorten bewährt und wird in der Dauerausstellung übernommen.

Während die Wanderausstellung »Liebes- und Musengeschichten« aufgrund ihrer Komplexität und ihrer literarischen Erzählweise ein »wissendes« Publikum ansprach, richtet die Dauerausstellung sich an alle Museumsbesucher. Das macht eine Vermittlung erforderlich, die die Objekte in einen zeitgeschichtlichen, politischen und gesellschaftlichen Zusammenhang stellt. Durch die Hervorhebung herausragender Exponate (Initialobjekte) und durch eine wertende Ausstellungsgestaltung wird dem Besucher der Zugang zu der Sammlung erleichtert. Die Sammlungsobjekte wurden über alle verfügbaren Medien in ihre zeitgeschichtliche Situation eingebunden. Reproduktionen, Auflagenwerke und Unikate werden im Sinne der Objektgerechtigkeit voneinander unterschieden.

Schwerpunkte des ersten Abschnitts der Ausstellung sind die Geschichte der Bücherverbrennung sowie Leben und Werk von Wolfgang Borchert und Ernst Toller. Die Ausstellung drängt nicht auf Vollständigkeit in einem literaturwissenschaftlichen Sinne, sondern will die Geschichten der Entdeckungsbücher Jürgen Serkes verbildlichen. Sie beginnt nicht chronologisch, sondern mit der Gegenüberstellung zweier Bücher, Ernst Tollers Drama »Der deutsche Hinkemann«, geschrieben nach dem Ersten Weltkrieg, und Wolfgang Borcherts »Draußen vor der Tür«, geschrieben nach dem Zweiten Weltkrieg. Der Besucher findet keine Bilder der Nationalsozialisten. Keine Zuspitzung des Dramas durch Inszenierung eines Kampfs zwischen dem absolut Bösen und den Guten, aber von vornherein chancenlosen Verlierern, den Emigranten. Im Mittelpunkt stehen die Exilanten und diejenigen, die sich nicht an die politische Situation anpassten.

Den zweiten Abschnitt bildet eine ausführliche Präsentation der Künstlerin Else Lasker-Schüler, eine Reminiszenz an den Ausstellungsort. Schwerpunkt des dritten Abschnitts ist das Leben und Werk Hugo Sonnenscheins, der in der Sammlung Serke einen herausragenden Platz einnimmt. Von ihm sind viele bisher unveröffentlichte Materialien und Manuskripte zu sehen.

Michael Schüttrumpf hat eine Ausstellungsarchitektur entwickelt, die es ermöglicht, die Bücher in einen sinnvollen Zusammenhang zu stellen, ohne dass die umliegenden Wände der Museumsräume einbezogen werden müssen. Die begehbaren Vitrinen aus Glas, deren Konstruktion den fast in Vergessenheit geratenen Zimelienvitrinen folgt, stehen wie zusammenhängende Solitäre in den Räumen, während an den Wänden »das Museum weiterläuft«. Die einzelnen Räume zeigen in sich geschlossene Themenblöcke.

Eremitage St. Petersburg

Im Obergeschoss schließt sich an die Literaturdauerausstellung das grafische Kabinett mit der Sammlung Schneider und einer Auswahl von bibliophilen Erstausgaben aus der Sammlung Serke an. Die Grafikabteilung wird durch den ehemaligen Ratssaal, der als zeitgeschichtlicher Brückenraum dient, mit dem Meistermannsaal verbunden. Dieser Abschnitt des Rundgangs schafft eine inhaltliche Klammer zwischen den einzelnen Sammlungsbeständen und er gewährleistet zugleich die klare Trennung der Ausstellungstypen Kunstausstellung und Zeitgeschichtsausstellung. Eine illustrierte Ereignisgeschichte des 20. Jahrhunderts und eine schematische Darstellung der Kunstpolitik der Nationalsozialisten helfen dem Besucher, den Kontext der Kunstwerke besser zu verstehen.

Im Brückenraum wird darüber hinaus der Unterschied der künstlerischen Medien Literatur, Grafik und Malerei deutlich: Aufgrund der Möglichkeit zur massenhaften Vervielfältigung waren Literatur und Grafik für die Nationalsozialisten gefährlicher als ein einzelnes Kunstwerk und entsprechend waren Autoren und grafisch arbeitende Künstler stärker der Verfolgung ausgesetzt. Die Kunst des Widerwillens, das bewusste Anderssein der Kunstwerke aus der Sammlung Gerhard Schneider und der Sammlung Serke wird im Vergleich und im Gegensatz zu offizieller Kunst, Staatskunst, ins Bild gesetzt.

Der Oberlichtsaal des Museums, der Meistermannsaal, wird in drei inhaltliche Bereiche unterteilt. Im Eingangsbereich des Altbaus befindet sich der »Raum der Biografien«. Im nächsten Raumabschnitt wird die Kunst gezeigt, die von den Nationalsozialisten rigoros abgelehnt wurde – ein »Panorama der Kunst, die nicht gewollt war« vom Ersten Weltkrieg bis zum Ende der Weimarer Republik. Der hintere, U-förmig geschlossene Bereich des Meistermannsaals bildet mit »zwischen 1933 und 1945« entstandenen Kunstwerken aus der Dauerausstellung der Sammlung Gerhard Schneider den dramaturgischen Abschluss des Rundgangs.

Diese Aufteilung erlaubt es, im ersten Abschnitt Kunstwerke als Beleg für die Biografie zu nutzen und im zweiten und dritten Abschnitt die Werke als Kunst zu zeigen. Diese Dramaturgie findet sich spiegelbildlich in der Grafikabteilung der Sammlung Schneider wieder. Der Logik des Rundgangs folgend kehrt der Besucher nach dem Besuch des Meistermannsaals über das Treppenhaus zurück in das Erdgeschoss. In dem unmittelbar am Treppenhaus gelegenen Raum im Untergeschoss stellt der verfolgte Künstler Meistermann die Verbindung zur regionalen Solinger Kunst her, die hier einen würdigen Ort erhalten haben.

Die Wechselausstellungsräume im Erdgeschoss und Untergeschoss des Neubaus sind in einer langfristigen Planung dergestalt in die Konzeption der Dauerausstellung einbezogen, dass sie mittelfristig diejenigen Bilder und Zeitabschnitte der Sammlung Jürgen Serke und der Sammlung Gerhard Schneider präsentieren, die in der permanenten Ausstellung nur am Rande oder gar nicht gezeigt werden können: die Kunst zwischen 1945 und 1947, die Kunst der DDR und die Kunst in der Bundesrepublik Deutschland.

Himmel und Hölle zwischen 1918 und 1989

Jürgen Serkes Literaturdauerausstellung steht in den Monaten nach der Eröffnung in Beziehung zu drei temporären Ausstellungen, die gemeinsam mit der Sammlung Gerhard Schneider die Möglichkeiten eines Museums der verfolgten Künste aufzeigen. 250 Fotos von Stefan Moses, Robert Lebeck, Christian Irrgang und dem 2005 verstorbenen Wilfried Bauer, die Serke auf seinen Literaturentdeckungsreisen begleiteten, zeigen den Kosmos der Verfolgung durch die zwei Totalitarismen des 20. Jahrhunderts. Das Fotopanorama reicht von Armin T. Wegner zu Czesław Miłosz, von Irmgard Keun zu Joseph Brodsky, von Ilse Aichinger zu Milan Kundera, von Rose Ausländer zu Václav Havel.

In einer weiteren Ausstellung werden erstmals in Deutschland mehr als 120 Bilder des Dichters und Malers Peter Kien im Original gezeigt, der 1940 ins Ghetto Theresienstadt kam und 1944 im Alter von 24 Jahren in Auschwitz ermordet wurde. Der Museumsbesucher sieht, wie unterschiedlich der Peter-Weiss-Freund Kien seine Kunst einsetzte: in der Malerei der Traum von einer befreiten Welt, in der Literatur die Todesbedrohung.

Die dritte Ausstellung zeigt den Blick der jungen Generation auf das vergangene Jahrhundert. Die 1979 in Ostberlin geborene Sarah Schönfeld und die 1969 in Jerusalem geborene Sigalit Landau reagieren mit ihren Arbeiten auf den Zivilisationsbruch des NS-Terrors – ebenso wie der 1970 geborene Jonathan Meese. Ihre Arbeiten antworten zugleich auf die neu konzipierte Dauerausstellung der Sammlung Schneider.

Sigalit Landau »Barbed Hula«

Das Video »Barbed Hula« zeigt den Torso einer unbekleideten Frau, die an einem Strand einen Reifen aus Stacheldraht um ihre Taille schwingt. Diese Arbeit verbindet die Augenblicklichkeit der bildenden Kunst mit den narrativen Elementen der Video- und Performance-Kunst. Auch ohne biografische oder situative Informationen öffnet sich dem Betrachter ein Spektrum von Assoziationen: Stacheldraht als Symbol der Konzentrationslager, Verletzung der Frau, Schmerz, Gefangensein, Spiel. Die Arbeit verbindet politische und biographische Aspekte, die man wissen kann, aber nicht muss.

Landau ist eine weltweit geachtete zeitgenössische Künstlerin. Ihr gelang 1998 mit der Arbeit »Resident Alien« auf der documenta X und auf der Biennale in Venedig der internationale Durchbruch. Ihre Werke lassen sich nicht unter ein Schlagwort fassen. Sigalit Landau ist Bildhauerin in einem modernen Sinne. Sie verfolgt ihre Themen Gesellschaft, Heimat und Schoa in epischer Breite und in einer beängstigen Konsequenz. Ihre bildhauerischen Arbeiten müssen in ihrem intellektuellen und narrativen Zusammenhang gesehen werden. Sie sind aber auch ganz einfach das, was sie sind: Ausdruck großer Gefühle.

Sigalit Landau »Muselman«

Sigalit Landau und ich sind im selben Jahr geboren. Unser Handeln wird von ähnlichen Fragen an die Geschichte und deren Auswirkungen auf unsere heutige Gesellschaft bestimmt. Auch wenn die Werke von Sigalit Landau den körperlichen Schmerz und die unvermeidliche Verbindung mit der Vergangenheit sichtbar machen, sind ihre Arbeiten nicht ausschließlich negativ determiniert. Gerade in der brutalen Deutlichkeit ihrer Erzählungen sehe ich eine Möglichkeit mit der Geschichte und der Gegenwart umzugehen. Unsere Geschichte ist nicht harmlos und meine Generation muss ihren eigenen Weg finden, mit ihrer und der Vergangenheit ihrer Familien umzugehen.

Auch Jonathan Meese thematisiert den Zivilisationsbruch im 20. Jahrhundert. Seine großformatigen Bilder korrespondieren mit den Arbeiten der Sammlung Schneider, die sich in den 50er und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts ebenfalls in expressiven Attitüden mit der deutschen Geschichte und den deutschen Symbolen befasst haben.

Jonathan Meese »Mussolini in Theben«

Meese ist Maler und Aktions- bzw. Performancekünstler. Seine Arbeiten zeigen den mitunter aggressiven Versuch, deutsche Mythologie, deutsche Symbole zu zerstören oder der Lächerlichkeit preiszugeben. So sind seine Installationen mit Vokabeln wie »Erzreligion Blutlazarett, Erzsöldner Richard Wagner, Privatarmee, Ernte und Saat« versehen. Einzelausstellungen hatte er in Berlin, Wien, New York, London und Hamburg. 1998 spielte er in Leander Haußmanns Film Sonnenallee einen irren Künstler. 2004 entwarf Meese das Bühnenbild für Frank Castorfs Inszenierung des Pitigrilli-Romans »Kokain«. 2006 inszenierte er gemeinsam mit dem Regisseur Martin Wuttke ein Theaterstück im Schlosspark zu Neuhardenberg. 2007 realisierte er als Regisseur das Theaterstück »De Frau: Dr. Pounddaddylein - Dr. Ezodysseuszeusuzur« an der Volksbühne Berlin.

Meese begibt sich auf einen gefährlichen Weg: Waren die Symbole der deutschen Wehrmacht und der Nationalsozialisten, Adler, Eichenlaub, Eisernes Kreuz Hakenkreuz für die Maler der Nachkriegszeit noch Teil ihrer persönlichen Erfahrung, sind sie für Meese eine Attitüde im Spiel mit der Provokation.

Sarah Schönfeld »weil wenn ...«

Das Foto »weil wenn ...« zeigt die Grenzenlosigkeit der Kunst heute. Es wirft uns zurück auf unsere eigenen Vorurteile über die Schoa und Auschwitz. Das Foto einer attraktiven jungen Frau mit Kopftuch, die vor dem Stacheldrahtzaun von Auschwitz-Birkenau kokett den Kopf in den Nacken wirft, darf nicht sein. Es bringt zwei Phänomene zusammen, die nicht zusammenkommen dürfen: Schönheit, Leben und Auschwitz. Sarah Schönfeld, die in Ostberlin als Tochter eines jüdischen Vaters und einer christlichen Mutter geboren wurde, sucht mit ihrer Arbeit nach ihrer Identität.

Die konzeptuelle Einbeziehung zeitgenössischer junger Kunst verhindert, dass aus dem Museum ein archäologischer Ort wird. Im Idealfall kann das Museum neben seinen Aufgaben des Sammelns, Bewahrens, Ausstellens auch ein Ort der Kommunikation sein, ein Ort, der möglich macht. Während der Vorbereitungen der Ausstellungen besuchte mich Yehuda Bacon, der Theresienstadt und Auschwitz überlebt hat. Er ging nach dem Krieg nach Palästina, baute den Staat Israel mit auf, wurde ein bedeutender Künstler und Lehrer. Als ich ihm den Entwurf für den Katalog von Peter Kien zeigte, erzählte er, dass er bei Peter Kien in Theresienstadt zeichnen gelernt hatte. Er konnte sogar einen Porträtierten identifizieren: Dr. Benjamin Murmelstein, geboren am 9. Juni 1905 in Galizien, deportiert nach Theresienstadt am 29. Januar 1943, zweiter Stellvertreter des Judenältesten vom 30. Januar 1943 bis 27. September 1944 und dann Judenältester bis zum 5. Mai 1945, gestorben in 1989 in Rom.

Yehuda Bacon war Sigalit Landaus Lehrer an der Bezalel Academy of Art in Jerusalem. Heute stehen sich im Museum die Arbeiten von Peter Kien und Werke von Sigalit Landau gegenüber. Yehuda Bacon ist bereit, dem Museum für Ausstellungen einige seiner Arbeiten zu leihen, zumeist unmittelbar nach dem Krieg entstandene Ölbilder über den Holocaust.

Heute werden in Europa keine Künstler verfolgt – eigentlich nicht. Immer wieder kommt es zu Konflikten zwischen Künstlern und Literaten, die Stellung beziehen gegenüber politischer Macht und Religion. Die polnische Künstlerin Dorota Nieznalska wurde in ihrer Heimat wegen eines Kunstwerks, eines Kreuzes mit dem Foto eines Penis, zu einer hohen Geldstrafe verurteilt. Sie könnte neben den beiden großartigen historischen Sammlungen ebenso in diesem Museum ihren Platz finden.

Ein thematischer Bezugspunkt für die ausgestellte zeitgenössische Kunst zur Literatursammlung sind zwei Bücher: »Himmel und Hölle« von Paul Kornfeld, der im Łódźer Ghetto ums Leben kam, und »Hölle und Himmel« von Alexander Moritz Frey, der im Ersten Weltkrieg zusammen mit Adolf Hitler vor Verdun kämpfte und den dieser als Chefredakteur des »Völkischen Beobachters« einsetzen wollte. Frey lehnte das Angebot ab und bekannte sich zur Demokratie, womit er sich den Hass der Nationalsozialisten zuzog. Er überlebte im Schweizer Exil.

Die Ausstellungen wurden nur durch die unermüdliche Geduld und kreative Gesamtleitung von Ulrike Damm, die Hilfe und Unterstützung des Vorsitzenden der Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft Hajo Jahn, des Direktors des Museums Baden Rolf Jessewitsch und des Sammlers Gerhard Schneider ermöglicht. Ohne die Zusammenarbeit mit Jürgen Serke und sein großes Vertrauen wäre alles nicht möglich gewesen.

In Deutschland fand die Geschichte überall statt, nicht nur an den wenigen Orten, auf denen der Fokus der Öffentlichkeit liegt. Mit der Verfolgung der Künstler, mit der Bücherverbrennung auf dem Opernplatz in Berlin am 10. Mai 1933 und bereits mehr als einen Monat zuvor, am 1. April auf dem Rathausvorplatz in Wuppertal, begann in Deutschland die Vertreibung und Ermordung Andersdenkender. Eigentlich leben wir heute im Himmel, aber wir werden die Hölle der Verantwortung für die Vergangenheit nicht los. Die Künstler und Autoren, die in der Hölle der Verfolgung lebten, schufen sich ihren Himmel in der Kunst. Hier haben sie einen eigenen Ort bekommen: in Solingen, das in unmittelbarer Nähe zum Geburtsort der großen deutschen jüdischen Dichterin Else Lasker-Schüler liegt, und das die Geburtsstadt Adolf Eichmanns ist.